Interview (dasgedichtblog)

In loser Folge stellt Franziska Röchter für dasgedichtblog die Teilnehmer des »Internationalen Gipfeltreffens der Poesie« am 23.10.2012 in München vor. Sie sprach mit Gipfelteilnehmerin Babette Werth über das »phantastische Material Text«.

»Ganz für den Moment da zu sein, das ist göttlich schön.«

dasgedichtblog: Babette Werth, Sie zählen zu den leiseren Stimmen unter den zeitgenössischen Lyrikerinnen. Sie sind jemand, der kein Aufhebens um seine Person macht, unauffällig im positiven Sinne, wirken bescheiden, dennoch bestimmt. Als gebürtige Rheinländerin leben Sie – nach diversen Auslandsaufenthalten u. a. in der Schweiz und in Spanien – in Berlin als freischaffende Künstlerin. Wie lebt es sich in einer Stadt wie Berlin? Muss man um einen Platz in der Kunstszene kämpfen?

Babette Werth: Das hängt von den eigenen Zielen ab. Im Moment arbeite ich sehr zurückgezogen, ich konzentriere mich ganz auf meine Arbeit und die Fragen und Themen, die ich unbedingt bearbeiten und ausprobieren möchte. Die Teilnahme an Ausschreibungen und Ausstellungen schafft ja auch einen gewissen Arbeitsrhythmus. Diesen Rhythmus schaffe ich mir durch eigene Ziele. Ich fühle mich sehr befreit dadurch, dass ich wenig ausstelle und an meinem Thema arbeite. Irgendwann kommt dann der Zeitpunkt, dann werde ich die Bilder in einer Ausstellung zeigen.

Jedes Jahr suche ich einen Arbeitsaufenthalt im Ausland, denn an einem anderen Ort für eine längere Zeit zu arbeiten, das gibt mir immer wieder einen neuen Blick auf die eigene Arbeit und ihren Stand.

»Das Fertigstellen kann die Ursprünglichkeit einer Arbeit nehmen.«

dasgedichtblog: Ihr 2008 erschienener Debütband »Die Tinte steht im Mond« in der Lyrikreihe Poesie 21 (Verlag Steinmeier, Deiningen) kommt auf den ersten Blick ebenfalls unauffällig daher. Das Cover ist in schlichtem Schwarz gehalten, wenngleich Ihre Texte wie poetische Gemälde und kleine bunte Miniaturen wirken. Wie sehr hat Ihr Kunststudium in Luzern Ihre lyrische Tätigkeit beeinflusst?

Babette Werth: Zum Cover: Ich schätze das schlichte schwarze Cover, dieses Außen ist ja wie die Haut eines Raumes, in dem Gedichte verweilen, bis sie mit dem Lesenden oder Zuhörenden mitreisen.

Ein Kunststudium ist gut, aber man muss sich von der Beeinflussung lösen und den eigenen Weg suchen. Ja, natürlich beeinflusst die bildende Kunst meine lyrische Tätigkeit. Genauso wie die lyrische Tätigkeit meine Malerei beeinflusst. Ich habe immer viel geschrieben, Tagebücher, Gedichte, Prosa und alles Mögliche, aber ich begann erst spät, Gedichte nach Außen zu zeigen und Gedichtseminare zu besuchen.

Ich habe einmal in der Kunstschule vierzig Köpfe modelliert und diese immer wieder zu Tonmasse verarbeitet. Das Fertigstellen kann die Ursprünglichkeit einer Arbeit nehmen, nur in dem Prozess zu sein, zu tun, zu beobachten, das ist eine unglaublich tiefe Erfahrung. Ganz für den Moment und dieses Objekt / Text da zu sein, in dem reinen Tun an sich und von sich aus einzutauchen, das ist göttlich schön.

dasgedichtblog: In Ihrem Band »Die Tinte steht im Mond« fangen Sie auf den ersten Blick unspektakuläre, bei genauerem Hinsehen aber grandiose poetische Momente ein. Es kommen wenig Menschen vor, eher mal ein Tier, Pflanzen, Landschaften. Die Natur wirkt beseelt, die Nacht »legt Schicht um Schicht Häuser in Schlaf«, »Der Mond badet in Pfützen«. Haben Sie für sich Möglichkeiten gefunden, eine Synthese aus Malerei und Poesie zu schaffen?

Babette Werth: Mit der Beschreibung einer Atmosphäre, einer Landschaft, nähere ich mich dem Menschen sozusagen aus der Ferne an und in der Art der Momentaufnahme schwingt vielleicht etwas Besonderes über einen Menschen mit.

Nein, eine Synthese aus Malerei und Poesie habe ich nicht finden können. Es sind für mich zwei unabhängige, sagen wir mal fast widerständige Wesen, die sich durch ihre Eigenheit beschreiben. Aber es gibt Annäherungen, Grenzen oder Begrenzungen, dieser Bereich ist unglaublich spannend.

Natürlich versuche ich es immer wieder, Malerei und Poesie zusammenzubringen, doch es gelingt mir nicht. Aber das Ausprobieren, Experimentieren ist aufregend. Ich schreibe Gedichte und male Bilder mit mehr oder weniger Text oder Textfragment. Das eine hat ja nicht unbedingt mit dem anderen etwas zu tun, aber ich brauche beides, die Malerei und die Lyrik, um weiterzukommen. Malerei mit lyrischer Neigung? Vielleicht bin ich froh, dass ich bisher keine Synthese gefunden habe. Die Suche ist viel lebendiger.

dasgedichtblog: Ihr zweiter Band in der Reihe Poesie 21, »Meine Seele im Zahnputzglas« (Verlag Steinmeier, Deiningen) kommt durch das moderne Grün auf dem Cover bereits forscher daher. »Wenigstens eine Farbexplosion« heißt es im Gedicht »Morgengrauen«. In der Tat beinhaltet der Band auch einige eher ungewohnte optische Gedichte wie »Reisevorbereitung«, »Morgendebakel« oder das Bildgedicht »Ein guter Tropfen«. Was inspirierte Sie dazu? Haben Sie versucht, bei »Reisevorbereitung« Begriffe wie Zeit, Eile, Betriebsamkeit beziehungsweise Bewegung zu visualisieren?

Babette Werth: Zur Farbe des Covers: Die Idee, einen dunklen Türkiston zu nehmen, kam vom Verlag. Der Ton könnte an diese früher oft verwendeten Badezimmerfliesen erinnern. Das hat mir gefallen.

Zu »Morgendebakel«: Ich bin sehr empfindlich gegenüber Geräuschen, zum Beispiel wenn im Sommer alle Fenster und Terrassentüren offenstehen und der Nachbar laut Sportnachrichten hört oder Heavy Metal-Musik durch die Straßenflucht dröhnt, das macht mich fertig. Es gibt aber auch erstaunliche Geräusche. Wir kennen das alle, ein Wasserhahn, der tropft, die Sirene der Feuerwehr und so weiter. Ich stelle mir vor, ich habe diese Klangelemente zur Verfügung und kann sie zusammenfügen, ihren Rhythmus bestimmen, den Zeitpunkt und auch die Häufigkeit ihrer Auftritte, also die Klänge komponieren. Das ist sehr reizvoll, oder?

Zu »Ein guter Tropfen«: Mich lockte der Versuch, mit einem Minimum an Textbausteinen die Assoziation hervorzurufen, ein Glas mit köstlichem Rotwein vor sich zu haben und es zu trinken.

Zu »Reisevorbereitung«: Jetzt würde ich noch konsequenter vorgehen und nur Zeichen verwenden. Es geht um diese typische Wiederholung von Tätigkeiten vor einer Abreise. Jeder kennt das, macht es anders, und doch gibt es Gemeinsamkeiten. Diese vielen Gedanken, die durch den Kopf rasen, tausende von Handgriffen, Tätigkeiten, die wie in einer Filmsequenz ablaufen, bis man endlich im Flugzeug sitzt, den Gurt schließt und abfliegt.

»Es geht insbesondere auch darum, ob Gedichte nach längerer Zeit noch Bestand haben.«

dasgedichtblog: Das Gedicht »Solo« (»SOLO // Kein Mond streicht / Ums Haus // Die Nachtkatze / Schweigt // Nur das Ticktack / Schlägt Lücken // Ins Zimmer«) gehört zu Ihren Lieblingsgedichten? Warum?

Babette Werth: Lieblingsgedichte sind einige der Gedichte, die ich auch heute noch mag. Es geht insbesondere auch darum, ob Gedichte nach längerer Zeit noch Bestand haben. Manche haben es und andere nicht. Gäbe es ein Verfallsdatum für meine nicht stimmigen Gedichte, die dann einfach aus dem Buch fallen oder verschwinden würden, das wäre mir recht.

dasgedichtblog: Ihr Lyrisches Ich wirkt auf sich selbst geworfen, kommuniziert mit dem Mond und weiß einen guten Tropfen zu schätzen. Man hat den Eindruck, Ihr Lyrisches Ich sucht den Rückzug aus der lärmenden Welt?

Babette Werth: Ich mag den kleinen Lärm, der nicht so laut ist.

»Ich suche diese Leichtigkeit, Wörter als einmalige Pinselstriche getuscht.«

dasgedichtblog: Ihr zweiter Band »Meine Seele im Zahnputzglas« ist bereits in zweiter Auflage erschienen. Aus gut unterrichteten Kreisen erfuhr ich, dass bereits Ihr Band 3 in Planung ist. Sie ließen mich vorab Einblick in einige Texte nehmen. Uns erwartet wieder eine großartige kleine Gemäldegalerie. Ich habe den Eindruck, diesmal haben Sie aquarelliert?

Babette Werth: Im gewissen Sinne ja, einige Gedichte ähneln dem Aquarellieren. Ich suche diese Leichtigkeit, Wörter als einmalige Pinselstriche getuscht, leicht und auch schwer.

Den Blick hinunter auf die Straße oder zum Nachbarhaus, das, was ganz nahe liegt, diese Stadtlandschaften haben einen Rhythmus, eine innewohnende Zeit, ja, das ewige Thema von Werden und Vergehen. Oder auch der Blick in die Ferne: Einige Gedichte sind im Süden Irlands entstanden und sie beschreiben diese fast nicht benennbaren Momente der Magie dieser Insel.

»Ton, Farbe, Text und vieles mehr sind Bausteine für Gebilde.«

dasgedichtblog: Was halten Sie persönlich von der Idee der Lyrik als Crossover-Medium für andere künstlerische Bereiche?

Babette Werth: Die Idee an sich, wieso nicht? Ich würde das im Einzelnen betrachten wollen, es hängt doch davon ab, was entsteht.

Ton, Farbe, Text und vieles mehr sind Bausteine für Gebilde. Das ist ja gerade beim Text so spannend, nämlich Buchstaben und Wörter auch als Bausteine zu verwenden, sie mit anderen Modulen zu verknüpfen und damit zu experimentieren. Text ist ein phantastisches Material.

dasgedichtblog: Frau Werth, ganz herzlichen Dank für das Gespräch.